Berlin, 07. September 2022

Kinder brauchen Ressourcen, nicht Restriktionen

Die im europäischen Vergleich besonders lang andauernden Schulschließungen haben Kindern und Jugendlichen in Deutschland schweren Schaden zugefügt. Harte Hygienerestriktionen in KiTas und Schulen sind nicht die passende Antwort darauf. Sie haben Infektionen auf Dauer nicht verhindert und schaden deutlich mehr als sie nutzen. Was Kinder und Jugendliche jetzt brauchen ist:

  • Normalität ohne Masken- und Testpflichts und keinen Ausschluss von KiTa und Schule, schon bei leichten Erkältungssymptomen.
  • Ausreichend Ressourcen für qualitativ hochwertige Bildung und Förderung, um entstandene Schäden zu kompensieren, sowie Mittel für eine gute Basishygiene.
Kinder und Jugendliche haben in Deutschland den zweiten Winter voller Einschränkungen erlebt

Masken- und Testpflicht, gestrichene Weihnachtsfeiern, Theateraufführungen mit Maske, aber ohne Eltern und Freunde, und auch auf Schwimmkurse hofften die meisten Kinder weiter vergeblich. Wie Antikörperstudien zeigen, haben sich trotz der restriktiven Maßnahmen fast alle Kinder und Jugendlichen infiziert – ob mit oder ohne Impfung. Durch den damit verbundenen breiten Immunschutz ist die Gefahr durch eine Ansteckung für sie damit noch geringer als schon zuvor. Die vorhersehbaren Schäden durch Schulschließungen, Lockdowns und Sportverbote sind hingegen eingetreten: Lernrückstände, mangelnde Sprachintegration, psychische Belastung bis hin zu schweren Erkrankungen, Bewegungsmangel und ein beängstigender Anstieg der Fettleibigkeit. Schweden hingegen, wo Grundschulen und Sekundarstufe I nie geschlossen waren, beobachtet weder eine Verschlechterung von Lernergebnissen noch der psychischen Gesundheit oder der physischen Aktivität.

Die Verantwortlichen versichern jetzt, es müsse oberste Priorität haben, die Schulen in diesem Winter offen zu halten. Doch absehbar bedeutet das für Kinder und Jugendliche hierzulande eine Fortsetzung der Maßnahmenbatterie an KiTas und Schulen, die Ansteckungen auf Dauer nicht verhindert und weit mehr geschadet als genutzt hat. Zwar sieht der Entwurf zur Novellierung des Infektionsschutzgesetzes erfreulicherweise vorerst keine Maskenpflicht für Grundschulkinder vor, dafür aber – anders als praktisch überall sonst in Europa – Pflichttests bereits in der KiTa und für ältere Kinder auch Masken. Weiterhin gilt nichts davon für Erwachsene in den Fabriken und Büros. Zudem würde die geplante Aufnahme von COVID-19 in den im §34 IfSG aufgezählten Katalog von ansteckenden Krankheiten dazu führen, dass Kinder schon bei bloßem Krankheitsverdacht, also etwa leichten Erkältungssymptomen, vom Schul- und KiTa-Besuch ausgeschlossen werden können.

Bildungseinrichtungen mit Restriktionen sind nicht wirklich offen

Das Problem: Offene Schulen und KiTas sind Orte, wo Kinder sich willkommen fühlen dürfen, frei und sorglos miteinander interagieren und die Bildungs- und Freizeitangebote erhalten, die sie brauchen, um den entstandenen Schädigungen wirksam etwas entgegensetzen zu können. Das lässt sich mit Masken, Pflichttests und gestrichenen Freizeitangeboten nicht erreichen.

Schulen und KiTas mit Pflichttests sind nicht wirklich offen. Sie halten gesunde Kinder von der Teilnahme am Unterricht ab und verschlingen personelle, finanzielle und logistische Ressourcen, die dringend für das Aufholen von Lernrückständen und die Behandlung psychischer Schäden gebraucht werden. Es ist sicherlich kein Zufall, dass das Land Berlin seine Schulbauoffensive um mehrere Jahre verschieben will, nachdem es für Luftfilter und Corona-Tests, von denen die pädiatrischen Fachgesellschaften und die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene abraten, mehr als 145 Millionen Euro ausgegeben hat. Derweil erleben Schülerinnen und Schüler in einer Berliner Grundschule den Schulanfang im Homeschooling, weil das Gebäude wegen Schimmelbefall geschlossen bleibt und das Problem zwar lange bekannt war, aber komplett verschleppt wurde.

Schulen mit Maskenpflicht sind nicht wirklich offen, denn sie behindern den Spracherwerb und das soziale Miteinander. Das trifft Hörgeschädigte und Kinder, die an Autismus leiden oder Deutsch erst noch lernen, besonders hart. 

Und es bedarf keiner gesonderten Erklärung, dass Schulen und KiTas ohne Weihnachtsfeiern, Schwimmkurse und Theateraufführungen nicht wirklich offen sind.

Es gibt nur einen Weg, dem entstandenen Schaden etwas entgegenzusetzen, nämlich, Verantwortung dafür zu übernehmen und Schulen und KiTas Ressourcen zu geben, anstatt sie weiter mit Restriktionen zu belegen. Die ehemalige norwegische Premierministerin Erna Solnberg bekannte im Frühjahr 2020, sie hätte sich bei der Schließung von Schulen und KiTas, die in Norwegen nur wenige Wochen andauerten, von Angst leiten lassen und einen Fehler begangen. Sie lernte daraus und beging ihn nicht wieder. Für Kinder unter 12 galt in Norwegen nie eine Maskenpflicht, Unterricht und Freizeitveranstaltungen finden ohne Einschränkungen statt. Auf Wunsch können Kinder sich impfen lassen. Gleichzeitig klärt die norwegische Gesundheitsbehörde faktenbezogen auf und weist auf das geringe Risiko einer Infektion für Minderjährige hin und auf den begrenzten sozialen Nutzen der Impfung, die Ansteckung und Übertragung nicht verhindert. Entsprechend käme in Norwegen niemand auf die Idee, Teilhabe oder Masken- und Testpflichtfreiheit vom Impfstatus abhängig zu machen.

Folgen wir diesem Beispiel aus dem fortschrittlichen Norden. Geben wir Kindern Ressourcen statt Restriktionen im Infektionsschutzgesetz!

Für Initiative Familien e.V.

Dr. med. Christine Busch, Andrea Martin, Heike Riedmann, Anna-Maria Kuricová, Dr. Stephanie Dinkelaker, Sina Denecke, Dr. med. Andrea Knipp-Selke

Erstunterzeichnende:

  • Univ. Prof. Dr. Nikolaus Haas, Direktor Kinderkardiologie und Pädiatrische Intensivmedizin LMU Ludwig Maximilians Universität, Klinikum der Universität München
  • Dr. Peter Walger, Vorstand Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene e.V. (DGKH) Internal medicine, Intensiv care, Infectious disease consultant
  • Prof. Dr. Klaus Stöhr, virology, epidemiology. Former: Director WHO Global Influenza Program and SARS Research Coordinator. Novartis
  • Prof. Dr. med. Arne Simon, Kinder- und Jugendmedizin, Pädiatrische Infektiologie
  • Prof. Dr. med. Johannes Hübner, Kinder- und Jugendmedizin, Pädiatrische Infektiologie
  • Prof. Dr. med. Ursel Heudorf, Fachärztin für Kinderheilkunde und für Öffentliches Gesundheitswesen, ehem. stellvertretende Leiterin des Gesundheitsamtes der Stadt Frankfurt am Main
  • Prof. Dr. H.-I. Huppertz, Kinderarzt, Infektiologe
  • Prof. Dr. Jonas Schmidt-Chanasit, Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie
  • Prof. Dr. med. Detlev Krüger, Virologe
  • Prof. Dr. med. Stefan Willich, Direktor, Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie, Charité – Universitätsmedizin Berlin
  • Dr. med. Reinhard Bartezky, Kinder- und Jugendarzt, Landesvorsitzender BVKJ – LV Berlin 
  • Prof. Dr. Josef Franz Lindner, Öffentliches Recht, Medizinrecht und Rechtsphilosophie
  • Jakob Maske, Bundespressesprecher BVKJ
  • Prof. Dr. Tobias Hecker, Klinischer Kinder- und Jugendpsychologe und -psychotherapeut an der Universität Bielefeld
  • Prof. Dr. med., Prof. h.c. (MNG) Walter Popp, Arzt für Innere Medizin, Arbeitsmedizin, Hygiene; Ärztliches Qualitätsmanagement, ABS-Experte (DGKH), Dortmund
  • Dr. med. Konrad Selke, Facharzt für Kinderheilkunde, Frauenheilkunde und Geburtshilfe