Köln, 09. März 2022

„Kinder und Jugendliche haben in den letzten zwei Jahren große Solidarität gezeigt, leiden aber auch in besonderem Maße unter der Pandemie und den damit verbundenen Beschränkungen. Der Bundeskanzler und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder betonen die Notwendigkeit, auch weiterhin sämtliche Anstrengungen zu unternehmen, die Folgen der Pandemie für Kinder und Jugendliche abzumildern.“

Diese zwei Sätze waren die knapp 14 Millionen Kinder und Jugendlichen dem Bundeskanzler und den Ministerpräsidenten nach der letzten MPK wert. Immerhin. 

Allerorten fallen mehr und mehr Beschränkungen, nur die Kinder und Jugendlichen in KiTas und Schulen verharren in einer geradezu grotesk anmutenden Parallelwelt. Während Schweden, Dänemark, die Schweiz, die Niederlande und sogar Österreich einen längst überfälligen Strategiewechsel in KiTas und Schulen vollziehen, wird bei uns an einer S3-Leitlinie festgehalten, die vom aktuellen Pandemiegeschehen längst ad absurdum geführt wurde. Sie sieht bei einem zahlenmäßig nicht näher definierten Infektionsgeschehen Kohortierungen, Masken- und Testpflicht, Einschränkungen bei Sport- und Musikunterricht oder gar Wechselunterricht vor. Die Leitlinie beruht auf Studien zur Prävention von SARS-CoV-2-Infektionen in Schulen, die bis zum 09.12.2020 veröffentlicht wurden. Zu diesem Zeitpunkt stand noch nicht mal ein Impfstoff zur Verfügung, weshalb es darin auch ausdrücklich heißt: „Bei Veränderungen der Dynamik des Infektionsgeschehens aufgrund neuer Virusvarianten sollen die empfohlenen Maßnahmen geprüft und, falls erforderlich, angepasst werden. Dabei hängt die Umsetzung vom Grad des Infektionsgeschehens […] aber auch von Veränderungen aufgrund der zunehmenden Immunisierung bzw. Impfung der Bevölkerung ab.“ Diese dringend erforderliche Anpassung ist allerdings bislang nicht erfolgt und es stellt sich die Frage, wie hilfreich derartige Handlungsempfehlungen bei einem Infektionsgeschehen sein können, das einer solchen Dynamik unterliegt, wie es bei SARS-CoV-2 der Fall ist.

Es muss die Forderung erhoben werden, dass sich eine solche Leitlinie an der Gesundheit der Kinder und Jugendlichen orientiert, nicht am Infektionsgeschehen in der Allgemeinbevölkerung, insbesondere dann nicht, wenn allen Erwachsenen eine Impfung zur Verfügung steht und Kinder ab 5 Jahren auf Wunsch der Eltern geimpft werden können. Für die unter 5-Jährigen steht kein Impfstoff zur Verfügung und ist wegen des geringen Nutzens bei zu erwartender marginaler Krankheitslast auch nicht notwendig.

Ab dem 20. März 2022 sollen nun alle „tiefgreifenden Schutzmaßnahmen“ entfallen. Ausdrücklich zu begrüßen ist die Aufhebung der Maskenpflicht an den Schulen im aktuellen Entwurf des Infektionsschutzgesetzes. Es muss aber sichergestellt werden, dass diese auch künftig – wenn überhaupt – nur Bevölkerungskreisen auferlegt werden darf, die daraus einen persönlichen gesundheitlichen Nutzen ziehen können.

Nach wie vor aber sind anlasslose Routinetestungen für Bildungseinrichtungen vorgesehen – entgegen entsprechender Empfehlungen aller drei großen pädiatrischen Fachgesellschaften und der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene. Es scheint, als solle die Überwachung des Infektionsgeschehens künftig ausschließlich den Kindern und Jugendlichen auferlegt werden.  

Laut Gesetzesentwurf der Ampel-Regierung sollen (fast) alle Maßnahmen auslaufen, können aber weiterhin von den Ländern verordnet werden, wenn sie „zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) erforderlich sind“. Was genau darunter zu verstehen ist, bleibt den Landesparlamenten überlassen. Es bleibt zu hoffen, dass die Landesparlamente dies nicht als Schlupfloch benutzen, um durch die Hintertür zum jetzigen Zeitpunkt auch weiterhin an den derzeit geltenden Maßnahmen in KiTas und Schulen festzuhalten.

Das bisherige Maßnahmenregime in KiTas und Schulen hat ein System etabliert, dem eine generelle Gefährdungsvermutung zugrunde liegt, die ein gesunder Schüler nur durch regelmäßige Tests und ständiges Maskentragen abwenden kann. Die dahintersteckende Logik entbehrt jeder Evidenz. Wer Kinder und Jugendliche systematisch so behandelt, als sei es deren Aufgabe, jene Erwachsenen zu schützen, die sich selbst nicht schützen möchten, verstößt gegen die UN-Kinderrechtskonvention und missachtet deren Grundrechte.

Niemals zuvor stand die Angst vor einer Atemwegsinfektion in einem so eklatanten Widerspruch zur damit verbundenen Krankheitslast. Es ist inzwischen hinlänglich bekannt, dass die Kollateralschäden (u.a. Fehlernährung, Bewegungsmangel, Anstieg der Suizidversuchsrate, Suchterkrankungen sowie Gewalttaten gegen Kinder) durch die während der Pandemie verhängten Maßnahmen die Risiken einer Corona-Infektion bei Kindern und Jugendlichen um ein Mehrfaches übersteigen.

Statt politisch motivierter Maßnahmen von Symbolcharakter, die mit einem hohen finanziellen Aufwand bei begrenzt zur Verfügung stehenden Mitteln verknüpft sind, fordern wir, diese Gelder an Stellen einzusetzen, wo wirklich Bedarf besteht: nämlich dort, wo die Pandemiepolitik bei Kindern und Jugendlichen bereits massive Schäden verursacht hat. Die Fortsetzung dieser Politik der Angst gefährdet das Wohlergehen der Kinder inzwischen mehr als das Virus. 

Kindern und Jugendlichen muss nach zwei Jahren Pandemie endlich der Weg zurück in einen normalen Alltag ermöglicht werden. Dazu bedarf es einer Kommunikation, die das mit einer Corona-Infektion verbundene Risiko bei Kindern und Jugendlichen immer und immer wieder faktenbasiert so darstellt, wie es der Realität entspricht: nämlich äußerst gering. 

Wir fordern deshalb:

  • Ein sofortiges Ende der Maskenpflicht in Schulen 
  • Ein sofortiges Ende der anlasslosen Routinetestungen in KiTas und Schulen
  • Vollumfängliche Teilhabe von Kindern und Jugendlichen in allen Bereichen des täglichen Lebens 
  • Die Gleichstellung von Kindern und Jugendlichen mit Geimpften und Genesenen ohne jegliche Einschränkung und ohne Nachweis jedweden Status
  • Eine evidenzbasierte Kommunikation zu SARS-CoV-2-Infektionen bei Kindern, die Ängsten entgegentritt

Initiative Familien

Heike Riedmann, Dr. Stephanie Dinkelaker, Sina Denecke, Zarah Abendschön-Sawall, Andrea Martin, Anna-Maria Kuricová, Dr. med. Christine Busch, Dr. med. Andrea Knipp-Selke, Dr. med. Aline Ekkernkamp, Dr. med. Rebecca Herrmann und Dr. med. Johanna Pressel

Erstunterzeichner:

  • Prof. Dr. med. Ursel Heudorf, Fachärztin für Kinderheilkunde und für Öffentliches Gesundheitswesen, ehem. stellvertretende Leiterin des Gesundheitsamtes der Stadt Frankfurt am Main
  • Prof. Dr. med. Arne Simon, Kinder- und Jugendmedizin, Pädiatrische Infektiologie
  • Dr. med. Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), Köln
  • Prof. Dr. med. Johannes Hübner, Kinder- und Jugendmedizin, Pädiatrische Infektiologie
  • Prof. Dr. H.-I. Huppertz, Kinderarzt, Infektiologe
  • Univ. Prof. Dr. Nikolaus Haas, Präsident Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler e.V. (DGPK)
  • Dr. med. Reinhard Bartezky, Kinder- und Jugendarzt, Landesvorsitzender BVKJ – LV Berlin 
  • Prof. Dr. Klaus Stöhr, virology, epidemiology. Former: Director WHO Global Influenza Program and SARS Research Coordinator. Novartis
  • Dr. Peter Walger, Vorstand Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene e.V. (DGKH), Internist, Intensivmediziner und Infektiologe
  • Prof. Dr. med., Prof. h.c. (MNG) Walter Popp, Arzt für Innere Medizin, Arbeitsmedizin, Hygiene; Ärztliches Qualitätsmanagement, ABS-Experte (DGKH), Dortmund
  • Prof. Dr. Dr. Jonas Schmidt-Chanasit, Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie
  • Prof. Dr. med. Detlev Krüger, Virologe
  • Prof. Dr. Andreas Radbruch, Präsident European Federation of Immunological Societies (EFIS), Wissenschaftlicher Direktor, Deutsches Rheumaforschungszentrum Berlin, ein Leibniz Institut
  • Prof. Dr. päd. Michael Klundt, seit 2010 Professor für Kinderpolitik im Studiengang Angewandte Kindheitswissenschaften der Hochschule Magdeburg-Stendal
  • Prof. Dr. med. Rüdiger von Kries, Kinder- und Jugendmedizin, Epidemiologie
  • Dr. Christine Eisemann, Oberärztin Anästhesie und Intensivmedizin, Klinikum Darmstadt
  • Prof. Dr. med. Matthias Schrappe, Facharzt für Innere Medizin, Gastroenterologie, Hämatologie und Internistische Onkologie, ehem. Dir. des Institutes für Patientensicherheit, Univ. Bonn, ehem. Stellv. Vorsitzender des Sachverständigenrates Gesundheit n. §140a SGB V
  • Prof. Dr. Dr. René Gottschalk, ehemaliger Leiter des Gesundheitsamts Frankfurt
  • Dr. med. Konrad Selke, Facharzt für Kinderheilkunde, Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe
  • Prof. Dr. rer.nat. Gerd Glaeske, Universität Bremen, SOCIUM Public Health, ehem. Mitglied im Sachverständigenrat Gesundheit 
  • Prof. Dr. rer.nat. Gerd Antes, Mathematiker, Medizinstatistiker, ehem. Direktor des Deutschen Cochrane Zentrums, Universitätsklinikum Freiburg 
  • Franz Knieps; Jurist und Vorstand des BKK-Dachverbandes e.V., Berlin
  • Prof. Dr. rer. pol. Philip Manow; Politwissenschaftler, Universität Bremen, SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
  • Hedwig François-Kettner; Pflegemanagerin und Beraterin, ehem. Vorsitzende des Aktionsbündnisses Patientensicherheit, Berlin
  • Prof. Dr. med. Klaus Püschel; Rechtsmediziner, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
  • Prof. Dr. Ulrike Guérot; Politikwissenschaftlerin, Leiterin des Lehrstuhls für Europapolitik an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Gründerin des European Democracy Labs in Berlin
  • Prof. Dr. Josef Franz Lindner, Öffentliches Recht, Medizinrecht und Rechtsphilosophie
  • Prof. Dr. Tobias Hecker, Klinischer Kinder- und Jugendpsychologe und -psychotherapeut an der Universität Bielefeld
  • Prof. Dr. med. Stefan Willich, Direktor, Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie, Charité – Universitätsmedizin Berlin
  • Prof. Dr. Lutz Jatzwauk, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene
  • Prof. Dr. med. David Martin, Kinder- und Jugendmedizin, pädiatrische Endokrinologie, Diabetolologie, Hämtologie und Onkologie
  • Dr. med. Heide Zielisch, Fachärztin für Arbeitsmedizin, Psychosomatische Grundversorgung, Psychosoziale Notfallversorgung