Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete des Deutschen Bundestages,

wir appellieren an Sie, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, sich bei der Reform des Infektionsschutzgesetzes für die Rechte von Kindern und Jugendlichen einzusetzen und Ihnen Normalität zu ermöglichen. Der am 03. August vorgestellte Vorschlag des Bundesjustiz- und des Bundesgesundheitsministers ist in dieser Hinsicht völlig unzureichend. Eine Fortsetzung dieser unbegründeten Einschränkungen bei Kindern geht zu Lasten ihrer Bildung und Gesundheit und damit der Zukunft dieses Landes.

1.          Kinder und Jugendliche haben in den vergangenen zwei Jahren erheblich unter den primär fremdnützig auferlegten Maßnahmen zur Bekämpfung der Sars-CoV-2-Pandemie gelitten. Daher müssen ihre Rechte in diesem Herbst, wie in anderen Ländern weltweit auch, endlich zum zentralen Kriterium aller politischer Entscheidungen werden. Dies erfordert eine Novellierung des Infektionsschutzgesetzes, das die Beachtung des Kindeswohls endlich in den Mittelpunkt des § 28a Abs. 7 IfSG stellt. Kindern und Jugendlichen muss uneingeschränkte Teilhabe unabhängig ihres Impfstatus garantiert werden. Hierzu müssen, angesichts jüngster Erfahrungen u. a. in den Bundesländern Berlin und Hamburg, den Landesregierungen weitreichende Eingriffe in Grundrechte von Kindern und Jugendlichen unmissverständlich untersagt werden.

2.          Kinder sind die Bevölkerungsgruppe, die am wenigsten von Maßnahmen zum Infektionsschutz profitiert haben, jedoch am stärksten eingeschränkt wurden, beispielsweise durch Schulschließungen, Quarantänemaßnahmen, Kontaktbeschränkungen, eingeschränkte Bildungs-, Sport- und Freizeitangebote o. ä. – mit tiefgreifenden Folgen für ihre Gesundheit, Entwicklung und ihren Bildungserfolg. Die Rechtfertigung für derartige Maßnahmen ist, wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 19. November 2021 (1 BvR 971/21) deutlich gemacht hat, mit dem Impfangebot an alle entfallen. Bereits vor über einem Jahr hat daher die Menschenrechtskommissarin des Europarates in einem Schreiben an die damalige Bundesjustizministerin betont, dass der Wahrung der Belange von Kindern in der Pandemie absolute Priorität einzuräumen ist und eine weitere Belastung nur dann in Betracht kommt, wenn alle anderen Mittel versagt haben. Dies gilt umso mehr, als sich Erwachsene durch eine Vielzahl an Maßnahmen selbst schützen können. 

3.          Es ist ein Phänomen, dass Schulen nach wie vor in der öffentlichen Wahrnehmung als wesentlicher Übertragungsort betrachtet werden. Tatsächlich haben Kinder sich hauptsächlich in privaten Settings und dabei am häufigsten bei Erwachsenen infiziert. Die überwiegende Zahl der Kinder hat keine schwere Krankheitslast oder ist sogar – wie zahlreiche Studien belegt haben – in hohem Maße asymptomatisch infiziert und damit weniger infektiös. Hinzu kommt, dass ca. 95% der Kinder und Jugendlichen durch Impfung und/oder Infektion Antikörper gegen SARS-CoV-2 bilden konnten.

4.           § 28a Abs. 7 IfSG setzt Kinder unverständlicherweise auf eine Stufe mit vulnerablen Personen und erlaubt den Landesregierungen, Schülerinnen und Schüler anlasslos zu testen. Entsprechende Eingriffsrechte gelten sonst nur für Seniorenheime, Justizvollzugsanstalten oder Krankenhäuser als verhältnismäßig. Anders als ältere und kranke Personen sind Kinder jedoch durch eine SARS-CoV-2-Infektion kaum gefährdet. Es gibt darüber hinaus keinen Nachweis, dass anlasslose Reihentestungen in Schulen und KiTas maßgeblich dazu beigetragen haben, schwere Krankheitsverläufe in der Allgemeinbevölkerung zu verhindern. Die enormen Kosten für eine Maßnahme, die in keinem Verhältnis zu ihrer Effektivität stehen, sind nicht zu rechtfertigen. Schon jetzt wird deutlich, dass die Mittel dort gekürzt werden, wo Kinder sie nach Jahren eingeschränkter Schulen und KiTas am stärksten benötigen: bei der Bildung.

5.        Auch erneute Zugeständnisse in Bezug auf eine Maskenpflicht für Kinder und Jugendliche darf es vor diesem Hintergrund nicht geben. Das Tragen von Masken ist, wie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof noch im Juli 2020 (20 NE 20.1443) konstatiert hat, alles andere als zumutbar bzw. ein geringfügiger Eingriff. Verdecke Mimik behindert nicht nur das Lernen von Fremdsprachen, sondern auch die Lese-/Rechtschreibkompetenz. Vor allem in Grundschulen ist es notwendig, dass Schülerinnen und Schüler die Artikulation der Lehrkraft wahrnehmen können. Überdies bedeutet die Maske, insbesondere für Kinder mit Hörbehinderung, Autismus oder einer anderen Muttersprache, deutliche Nachteile und schränkt insgesamt die soziale Interaktion ein

In der öffentlichen Debatte wird häufig suggeriert, nur mit einer ganzen Batterie von Einschränkungen ließen sich erneute Schul- und KiTa-Schließungen verhindern. Das entspricht jedoch weder dem aktuellen Erkenntnisstand zur Effektivität dieser Maßnahmen noch der Praxis anderer europäischer Länder. Anlasslose Reihentestungen in Schulen und KiTas haben andere europäische Länder nie eingeführt oder mit der breiten Zirkulation der deutlich weniger pathogenen Omikron-Variante längst abgeschafft. Viele Länder haben Grundschulkindern zu keinem Zeitpunkt Masken zugemutet und die Zahl der Länder, die darauf ganz verzichten, hat stark zugenommen. Die Beibehaltung von Einschränkungen für Kinder und Jugendliche lässt sich auch nicht damit rechtfertigen, dass diese im Vergleich zu früheren Maßnahmen weniger intensiv seien.

Wir dürfen ihnen die Rückkehr zur Normalität, die sie so dringend brauchen, nicht länger verwehren. 

Prof. Dr. Klaus Stöhr
Prof. Dr. med. Ursel Heudorf
Dr. Axel Koch
Heike Riedmann
Prof. Dr. med. Detlev Krüger