Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Dr. Söder
Sehr geehrter Herr Kultusminister Prof. Dr. Piazolo
Vorbild Österreich
Mitte Februar betrug die Inzidenz in Österreich ungefähr 130, Tendenz steigend. Gleichzeitig werden die Schulen in Österreich für alle Schüler:innen geöffnet. Grundschüler:innen besuchen die Schulen dabei jeden Tag und in voller Klassenstärke. Einen Monat später beträgt die Inzidenz in Österreich 200 und die Auswertung von Tests an Schulen zeigen: diese waren sicher nicht die Treiber der Infektionszahlen. Schulen in Österreich sind noch immer geöffnet, auch bei steigenden Inzidenzzahlen sollen diese weiter offen bleiben. Ein Blick lohnt sich noch auf eine weitere Zahl: die Rate der positiven Tests . In Österreich betrug sie Mitte Februar nur 0,7% inzwischen ist sie leicht auf knapp 1% gestiegen in Deutschland lag die Rate im gleichen Zeitraum konstant bei etwa 6%.
Schon im Herbst hatte Österreich angekündigt, woran Bayern jetzt noch scheitert: Bildungseinrichtungen mit Hilfe eines Testkonzepts offen zu halten. Dass das funktioniert, zeigen die detaillierten Auswertungen der Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ). Diese wurden beauftragt, das Testkonzept wissenschaftlich zu begleiten und die Ergebnisse der Tests auszuwerten. Die aktuellsten Ergebnisse liegen für die 7. Kalenderwoche vor, als alle Schüler wieder an die Schulen zurückkehren durften: dabei wurden 0,04% (oder 4 von 10.000) Schüler:innen und 0,12% des Lehrpersonals positiv auf Covid-19 getestet, bei insgesamt gut 1,3 Millionen Tests. “Ausbrüche” an Schulen waren extrem selten und beschränkten sich auf maximal 4 Fälle pro Klasse. In keinem Fall gab es eine Übertragung von einer Klasse auf eine andere innerhalb einer Schule[1].
Schnelltests nutzen, um Schulen für alle Schüler:innen offen zu halten
Warum in Bayern zwar Schnelltests erfolgreich entwickelt und produziert werden, aber immer noch nicht zum Einsatz kommen, um Bildungseinrichtungen offen zu halten, ist vor diesem Hintergrund schlicht und einfach als Skandal zu bezeichnen und entlarvt Ihre Worte von der Priorität für Bildung und davon, dass Schulen zuletzt geschlossen und zuerst geöffnet werden, als leere Worthülsen. Nach einem Jahr in der Pandemie werden jetzt in Bayern endlich Schnelltests an die Schulen ausgeliefert und werden erste Elemente eines Testkonzepts für die Schulen sichtbar. Noch immer aber fehlt eines: das Versprechen – und offensichtlich auch der Wille – mit diesen Tests und diesem Testkonzept die Schulen auch unabhängig von der allgemeinen Inzidenz für alle Schüler:innen zu öffnen. So wie es in Österreich seit über einem Monat Praxis ist. Bisher wurde nur bekannt, dass nach Ostern auch die vierten Klassen unabhängig von der Inzidenz in die Schulen gehen dürfen. Für alle anderen heißt es wohl weiterhin: hoffen, bangen und wieder Distanzunterricht, dann im fünften Monat.
Schule in Präsenz ermöglichen und Infektionsketten brechen
Ein Blick zum direkten Nachbarn würde reichen, um festzustellen, wie mit Hilfe von Selbsttests Schulen sicher geöffnet werden können. Wir fordern Sie daher dringend auf:
- Setzen Sie schon lange vorliegende Testkonzepte für Bildungseinrichtungen so schnell wie möglich um. Neben dem erfolgreichen österreichischen Testkonzept, an dem sich das bayerische Testkonzept offensichtlich orientiert, möchten wir hier auf die Konzepte von Rapidtests.de[2] und der DGPI[3] verweisen.
- Nutzen Sie diese Tests, um Schulen für alle Schüler:innen in ganz Bayern und für alle Jahrgangsstufen zu öffnen. Es kann nicht sein, dass Schulen für viele Schüler:innen trotz Abstandsregeln, Maskenpflicht und Teststrategie geschlossen bleiben, während in der Wirtschaft oft genug auch ohne Maske, Abstand und Tests gearbeitet wird.
- Evaluieren Sie die Testergebnisse entsprechend des Vorbilds der ÖGKJ und stellen Sie diese in den allgemeinen gesellschaftlichen Zusammenhang. Covid-19 Fälle in Schulen dürfen nicht die Diskussion bestimmen, während gleichzeitig Ausbrüche am Arbeitsplatz stillschweigend in Kauf genommen werden bzw. der Ursprung vieler Ansteckungen auch ein Jahr nach Pandemiebeginn vollkommen unklar ist. Die Daten des RKI zeigen deutlich, dass, selbst zu Zeiten von deutlich höheren Inzidenzen in Bayern im Herbst letzten Jahres und bei damals geöffneten Schulen, das Ausbruchsgeschehen am Arbeitsplatz immer deutlich größer war als das an Schulen.
- Beachten Sie die Empfehlungen und Forderungen der Kinderärzte zu einem sicheren Schulbetrieb auch bei hohen Inzidenzen[4].
- Verpflichten Sie die Wirtschaft überall dort, wo Personen aufeinander treffen, zur Umsetzung eines Testskonzepts, das dem an Bildungseinrichtungen ebenbürtig ist und eine vergleichbar hohe Testrate aufweist.
Mit einem Testkonzept für Schulen und das Wirtschaftsleben können nicht nur Bildungseinrichtungen geöffnet bleiben und Arbeitsplätze sicherer gemacht werden. Vielmehr können so auch Infektionsketten frühzeitig unterbunden und die Infektionszahlen nachhaltig gesenkt werden.
Geben Sie Kindern und Jugendlichen ihr Recht auf Bildung und Teilhabe zurück
Nach den Osterferien werden in Deutschland viele Schüler:innen seit vier Monaten keine Schule mehr von innen gesehen haben, keine Schulfreunde getroffen, keine Lehrer:innen vor sich gehabt haben. Ihr Schulleben war beschränkt auf einen kleinen Bildschirm und Arbeitsaufträge. Der Vorsitzende des britischen Verbands der Kinderärzte hat es dem britischen Parlament gegenüber eindringlich formuliert: “When we close schools we close their lives.” Geben Sie den Kindern in Deutschland endlich ihr Leben zurück. Sie sind es ihnen schuldig.
[1] Evaluierung des SARS-CoV-2 Screenings mittels anterio-nasalen Antigen-Selbsttests an österreichischen Schulen KW 7
[2] “TRACE”-Modell: Corona-Selbsttests an Schulen und Kitas
[3] Teststrategien zur COVID Diagnostik in Schulen (Stand 28.02.2021) » DGPI
[4] Stellungnahme der DGPI und der DGKH: Kinder in der COVID-19 Pandemie (Stand 05.02.2021)